Stadtzentrum - Wörgl
Bauherr:
T&T Immobilientreuhand GmbH
Leistungen:
Architekturwettbewerb
Wettbewerb:
2023
Projektbeschreibung
Städtebau / Architektur - Helmuth Aschers Betrachtungen von Wörgl zeigen sehr genaue, realistische Perspektiven auf die Stadt, in denen Ortskundige leicht spezifische Gebäude wiedererkennen. Eines seiner beliebtesten Motive scheint die Scheibe des alten Stadtamts zu sein, mit oder ohne Kirche. Als Diskrepanzen zum Fotorealismus – Ascher war ja professioneller Fotograph - wären folgende augenfällige Aspekte zu nennen:
Eine subtile Steigerung der Vertikalen (die Gebäude Wörgls strecken sich mit den Bergen nach oben), eine starke Abstraktion der Oberflächen (die Gebäude erhalten eine skulpturale Ausprägung) und -eher auf dem zweiten Blick wahrnehmbar - versteckt Ascher kleine surreale Elemente in den Gassen Wörgls. Sie muten an wie Felsen, die er aus dem Panorama nimmt. Verbirgt sich unter ihrer orange-braunen Farbe ein goldener Schimmer. Das Gold auf den Straßen Wörgls? – Aber bevor wir weiter in der Bildinterpretation gehen – verziehen sei auch unsre Arnulf-Rainer-Geste in fremder Künstler Bilder zu pinseln – ziehen wir die Parallele zum Städtebau:
Die Abstraktion der Gebäude zu fensterlosen Skulpturen (analog zu den städtebaulichen Massenmodellen des Architekten), deren Streckung entlang der Z-Achse, Gebäude, in deren Zwischenräumen ein surreal Imaginäres Platz findet und das alles in einer realistischen Perspektive gefasst, ergeben – im exakten Wortsinn – eine pittoreske Städtebau Analyse, den die Stadtplanung dankend als ästhetisch-holistischen Leitfaden für Wörgl aufnehmen kann. (Siehe hierzu auch die interessante Ähnlichkeit zu den paradigmatischen Bildern, die das Prinzip der Zoning Law ausdrückt, das die Bebauungsgrenzen, Höhenentwicklungen in New York regulieren sollte)
Schaut man sich Wörgl nun auf der Karte an, erkennt man als vorherrschende Dominante die Ost-West Achse: Vom Norden her lassen sich aufzählen: der Inn, die Bahntrasse, die Bundestraße. Wörgl als Struktur liegt als eine geteilte zwischen diesen „Linien“. Unsere Intention ist es mit einer sicheren Strichführung von Nord-Süd-Achsen dieser trennenden Dominante entgegen zu arbeiten. Die Ableitung dieser interventionellen Nord-Süd-Achsen geschieht einerseits über das Aufnehmen und Vervielfältigen der bestehenden, nämlich der mit hohem Potential ausgestatteten Bahnhofstraße und andererseits durch eine interpretative Spiegelung der Bebauung südlich vom Planungsgebiet, die ebenfalls mit ihrem Portal zum Kirchplatz das Potential für ein „pittoreskes“ Stadtzentrum in sich trägt.
Den grundlegenden Parameter für unsere Methode zur Bearbeitung der Baumasse, die der Investor zur Finanzierung eines neuen Wörgler Zentrums benötigt, sind also diese bewußt gewählten Nord-Süd-Achsen mit denen die notwendigen Zusammenhänge der öffentlich zugänglichen Freiräume - im Sinne einer res publica - geschaffen werden.
Die Kirchturm-Achse schafft eine komplett neue, noch nie vorhandene Perspektive auf den Kirchturm. Die Bahnhofstraße erhält in seiner intuitiven Verlängerung ein pittoreskes Finale. Kurz vor dem Polylog-Platz taucht in der Blickflucht der Bahnhofstraße ad hoc der Kirchturm in seiner vollen Höhe auf. Neben der symbolischen Eindeutigkeit des Kirchturms entsteht eine visuelle Irritation zu seinem Kontext, die Neugierde wecken soll. Es lässt sich nämlich durch die Perspektive nicht gleich ausmachen durch was der Kirchturm gerahmt wird und was den Rest der Kirche verdeckt. Nur dass die Einkaufsstraße, auf der man sich gerade befindet, in einer Art Gasse mündet, einer Schlucht, die auf den Turm zuläuft. Erst beim Weitergehen tritt der Turm unseres Bebauungsvorschlags als solcher in Erscheinung und man erkennt, dass dem Kirchturm ein anderer gegenübergestellt wurde. Die Situation ist eine genuin ambivalente: Durch die provokante Gegenüberstellung entsteht erst die würdigende Perspektive auf das Alte…
Die Portal- Achse (Stadtpark und Stadtplatz) nimmt das Portal zum hinteren Kirchplatz, das durch das enge Zusammenstehen der Gebäude-Ecken von Kirche und Apotheke entsteht, zum Ausgang für eine proportional gesteigerte Spiegelung in unsrem Entwurf vis a vis. Diese neue, klare Öffnung durchbricht die bestehende Linearität des zur Durchzugstraße degradierten Andreas Hofer Platzes, der durch ein Zurückweichen des T2 mit 7m Höhe zugleich verbreitert und klar begrenzt wird. Die Portal-Achse legt auch den Blick frei auf das grüne Innere des Blocks und verlängert somit die grüne Zunge vom Stadtamt bis zum City Center. Der öffentliche Raum im Entwurf verhält sich wie ein Fluss-Delta, dass die umgebenen Freiräume in sich integriert. Beim alten Stadtamt werden im westlichen Eck das E0+1 geöffnet, sodass von Norden kommend der Blick freiliegt auf das Portal zum Kirchplatz. Hier liegt der Eingang zum Stadtpark, der weiter zum Stadtplatz führt. Der ruhige grüne Raum zoniert sich in eine Parkanlage mit Liegewiese, Spielplatz, ausreichend Sitzbänken entlang der Durchwegung und Flächen mit Beeten, die für urban gardening benutzt werden sollen. Angeschlossen an den Park ist der neue sonnigste Teil vom Stadtpark. Hier befinden sich auch Einlassungen direkt im Boden, aus denen an besonders heißen Tagen Wasserfontainen aus dem Wörglbach spritzen. Der Bereich zwischen dem Hotel und dem Stadtamt ist als freier, multifunktional bespielbarer Platz gestaltet. Die Zonierung direkt am Platz soll nur über leicht demontierbare Möbel erfolgen (z.Bsp. Sitzbänke wie beim Museumsquartier in Wien, klassischen Sitzbänken usw.) Denn eigentlich versteht sich der Platz als Veranstaltungsfläche für Platzkonzerte, Märkten mit mobilen Ständen, Eislaufplatz etc. Zur logistischen Abwicklung werden öffentliche Lagerflächen für Bestuhlung und technisches Equipment, ebenso öffentliche Toiletten zur Verfügung gestellt. Essenziell ist hier auch die Positionierung der indoor Veranstaltungsflächen der Stadt (Foyer 3, Trau-, Gemeindesitzungsaal, die mit dem Platz und dem Stadtpark funktional kurzgeschlossen werden können. Der großzügige Treppenaufgang zum Bürgerservice (Foyer 1) dient auch als Tribüne bei Konzerten oder Theateraufführung. Permanente Überdachung bieten hier die Geschoße ab E2, die sich als visuelle Platzbegrenzung in den Platz drehen und vis a vis die – ebenso im E2 und mit einer Brücke verbunden befindet sich die Terrasse des Hotelrestaurants. Eine temporäre Überdachung zwischen den Dächern bei großen Veranstaltungen für Planungssicherheit unabhängig vom Wetter und deren Konstruktuionsträger für etwaige Bühnentechnik.
Höhenentwicklung: Das konsequente Ziehen der Nord-Südachsen als städtebauliches Werkzeug macht die Z-Achsen zu deren Resultanten, die einer nun weiteren Bearbeitung unterzogen werden.
Die an den Ecken des Blocks stehenden Appendixe werden hochgezogen (wodurch sich die mittleren Baukörper senken). Die Appendixe sind wie die bei einer gründerzeitlichen Blockrandbebauung an den Ecken ausgebildeten Erker, die hier aus ihrer Fassade gesprungen sind und eigenständig dastehen. Der Turm im Osten potenziert durch seine Höhe den Charakter des Schachtner Hof als „Eckzahn“ (Begriff von Walter Hauser BDM Tirol), den er im bestehenden Ensemble einnimmt. Zusammen mit dem Kirchturm bildet der über 10m niedrigere Turm ein Gate zum neuen Zentrum. Der östliche Turm erhält dieselbe Höhe wie das Stadtamt und wiederholt als keilförmiger Turm das etwas nördlich gelegene „Wimpisinger“-Hochhaus.
Funktion - Die vorher beschriebenen städtebaulich logisch aus der umgebenden, vorhandenen Bebauungsstruktur abgeleiteten Nord-Südachsen gliedern die vom Investor geforderten Funktionsbereiche eindeutig und klar, sie ermöglichen dadurch nicht nur eine problemlos in Bauetappen durchführbare Realisierung, sondern bedingen auch eine optimale wirtschaftliche Voraussetzung für die Verwertung der einzelnen Bauteile. Das Raum- und Funktionsprogramm gliedert sich in folgende 4 Funktionsbereiche und Baukörper:
- UG1 und UG2: Tiefgarage für die Gesamtanlage mit weiterführenden Überlegungen zur Anbindung an weitere Bauabschnitte an der Ost- und Nordseite.
- Bauteil 1: Baukörper Büro
- Bauteil 2: Baukörper Hotel, Gewerbeflächen im EG
- Bauteil 3: Baukörper für städtische Flächen, Gewerbeflächen und Gastro im EG, Wohnungen in den Obergeschoßen
- Bauteil 4: Baukörper für Wohnungen, Gewerbeflächen im EG
Die im Projekt vorgeschlagene Anordnung der Baumassen und die Höhenentwicklung ermöglichen die Schaffung eines zentralen Freibereiches als Fläche zur öffentlichen Nutzung für die Bewohner der Stadt, der ca. 60% der Grundstücksfläche umfasst, an den man gerne vorbeikommt, auf dem man sich gerne aufhält und auf dem zu verweilen etwas Besonderes ist und Platz für verschiedenste Veranstaltungen schafft. Diese „neue Mitte“ schafft einen neuen, zentralen, öffentlichen Platz in der Stadt Wörgl, der lebendig gestaltet, vielseitig nutzbar, gut zoniert ist und identitätsstiftend ist. Diese „res publica“ bildet ein neues Zentrum, welches durch eine gezielte Durchwegung allseitig an die vorhandene städtische Struktur angebunden wird und somit ordnend in die heterogene Umgebung einwirkt. Bewusst geschaffene Sichtachsen erzeugen Übersicht und Orientierung, verbinden die Bahnhofstraße mit der Josef-Speckbacher Straße sowie den Platz vor dem Stadtamt mit dem Andreas-Hoferplatz, dem Kirchplatz und dem Gradlangerplatz und rücken zudem die Kirche ins Zentrum.
Verkehrssituation - Gemäß der Vorgabe in der Auslobung ist die Einfahrt in die zweigeschoßige Tiefgarage in der Josef-Speckbacher Straße geplant. Im UG2 könnte man die TG bis zum alten Stadtamt weiterführen. Unser Vorschlag wäre diese auch noch um die Fläche unter dem Platz auch nördlich vom Stadtamt zu erweitern, mit Zusammenschlussmöglichkeit zur bestehenden Wimpisinger TG.
Mittelfristig sind die Bestrebungen der Stadt Wörgl nach einer starken Reduktion des Durchzugsverkehres an der Innsbrucker Straße durch übergeordnete verkehrstechnische Maßnahmen zu forcieren. Bereits in der vorliegenden Planung wird durch eine entsprechende Gestaltung des Andreas-Hofer-Platzes die Attraktivität des Durchfahrens eingeschränkt, bei diversen Anlässen wäre die Schließung der Durchzugsstraße und die Nutzung des Platzes ohne Verkehr temporär zu empfehlen. Dadurch kann der Andreas-Hofer-Platz wieder seine historische Bedeutung erlangen und das neue Stadtzentrum weiter attraktiveren. Die neu geschaffenen Funktionen im Zentrum setzen das angestrebte Konzept der kurzen Wege in Wörgl fort. Der neue Stadtplatz ist frei von öffentlichem Verkehr und wird konsequent an das bestehende Fuß- und Radwegenetz sowie an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden, ein Mehrwert für alle Bewohner.
Ideenteil Stadtamt - Das alte Stadtamt mit seiner Präsenz in der Stadt gehört vorbildlich saniert. Pritzkerpreisträger Lacaton und Vassal zeigten beim grand parc bordeux wie es ginge. Vorgefertigte Balkone/ Wintergärten mit einer Polycarbonat-Fassade verbessern nicht nur die Energiebilanz, sondern erweitern verhältnismäßig günstig die Wohnfläche. Von der Steigerung der Quälität innen wie außen ganz zu schweigen. Finanzieren ließe sich das für die Eigentümergemeinschaft, über den Erlös aus einer 2-geschoßigen Aufstockung des Gebäudeteils zur Speckbacherstraße. Im Sinne einer allgemeinen Verdichtung des innerstädischen Raums schlagen wir mögliche Aufstockungen entlang der gesamten Häuserzeile der Speckbacherstrße vor.
Der neue Stadtpark ist Teil einer Erlebnis-Sequenz zusammen mit dem neuen Stadtplatz der entkang der prägnanten Nord-Südachse zum Andreas-Hofer- Platz, wie oben im Abschnitt Portal-Achse beschrieben.
Smart Grid Wörgl - Ein intelligentes Energiesystem kombiniert mit Gebäuden im Niedrigenergie-Standard bilden einen wichtigen Baustein für die angestrebte Energieautonomie Wörgls. Mit einem Low-Tech Ansatz wird fachgerecht ein wirtschaftliches und energiesparendes Heizungs- und Lüftungssystem installiert. Der Grundenergiebedarf wird über das Fernwärmenetz gedeckt. Zusätzlich wird auf „Smart City Wörgl“ bzw. „Smart-Grid-System“ eingegangen: Die Dachflächen werden in maximal möglichem Umfang mit PV-Anlagen belegt. Mittels Smart-Grid-Lösungen kommt der gewonnene Strom den Bewohnern zugute (Smarter Direktverbrauch). Eingebunden sind dabei auch die Batterien der Car-Sharing Stationen, der Elektro-Bikes am Stadtplatz, sowie die E-Autos in der Tiefgarage. Diese können als flexible Energiespeicher im Smart-Grid aktiviert werden. Warmwasserbereitung gebäudezentral über zwei Speicher: primärer Heizungsspeicher (Fernwärme) sekundärer Heizungsspeicher (Solarstrom). Kontrollierte Wohnraumlüftung durch passivhauszertifizierte Lüftungsgeräte mit elektrischer Vorwärmung vermeidet auch Lärmimmissionen durch geöffnete Fenster. Die Positionierung erfolgt direkt über den Installationsschächten am Dach.
Team: Jakob Haselsberger, Lukas Haselsberger, Maximilian Gruber, Thomas Reichsöllner, Lisa Knabl